Das Kloster als Ort des Wissens

Österreichische Nationalbibliothek: Codex Vindobonensis 2554, f.1 verso

Wissen im Mittelalter ist: Gott erkennen

Wissen wurde im Mittelalter unter anderen Voraussetzungen als heute gepflegt. Während die Moderne Wissen den Regeln der Vernunft und einer vor allem naturwissenschaftlich geprägten Methodik unterworfen sieht, liefert im Mittelalter das Christentum bzw. die Kirchen den übergreifenden, erkenntnisleitenden Rahmen, um die Welt zu verstehen. Wissen hieß Gott zu erkennen mit dem Ziel, den Glauben zu vertiefen und dadurch das Heil zu sichern.

Wissen war ein, vielleicht der wichtigste Schlüssel gerade für mittelalterliche Menschen, um Gott zu verstehen, und damit auch die Schönheit und die Perfektion, aber auch die Macht seiner kosmischen Schöpfung zu erkennen

Wissen heißt (Ab-)Schreiben

Wissen, wie es im Mittelalter durch die Kirche gepflegt wurde, bedurfte der Schriftlichkeit, kurz des Buches. Schon die antiken Hochkulturen und insbesondere Griechenland und Rom, die sich ebenfalls durch enge Verflechtungen von Religion und Wissen auszeichneten, waren daher nicht zufällig Buch-Kulturen. Als solche beruhten sie auf der Nutzung von Schriftlichkeit, was vor allem auch hieß, dass Wissen mit Hilfe der Schrift gespeichert und verfügbar gemacht werden musste.

 Dies war im Mittelalter praktisch ausschließlich in den Klöstern möglich. Denn nur dort wurden die entsprechenden Techniken gepflegt und die dazugehörige Bildung vermittelt. So schrieben unzählige Mönche und Nonnen vieles von dem ab, was der Untergang des Römischen Reiches an Wissen übriggelassen hatte – und was das darauf aufbauende Christentum nach und nach darauf an Bildung aufbaute.

Über Jahrhunderte änderte sich nichts an dieser Praxis: Klöster waren die mit Abstand wichtigsten Orte der Manuskript- bzw. Buchherstellung und damit der Wissensproduktion.

 

 

 

 

 

 

Aus dem Buchbestand eines Klosters

Bücher im mittelalterlichen Kloster wurden vor allem in der Liturgie, der individuellen oder gemeinschaftlichen Gebetspraxis sowie zur Ausbildung der Mönche benötigt. Sie wurden also regelmäßig, aber in unterschiedlichen Situationen und insofern auch an unterschiedlichen Orten genutzt. Daher war die Bibliothek nur ein Ort, an dem sich Bücher im Kloster befanden.

 

Nicht nur Bücher: Schriftgutverwaltung

Klöster waren nicht nur Ort christlicher Spiritualität und christlichen Gemeinschaftslebens, sondern immer auch Wirtschaftsbetriebe.

Sie verfügten dank regelmäßiger Schenkungen sowie technischer und agrarwirtschaftlicher Kenntnisse über erhebliche materielle Ressourcen, die verwaltet und auf Dauer gesichert werden mussten. Dazu war die Nutzung von Schriftlichkeit unerlässlich. Eine Klosterbibliothek als Ort klösterlichen Wissens diente daher nicht nur dem liturgischen, spirituellen und bildungsmäßigen Bedarf, sondern sie war auch ein Bestandteil der Schriftgutverwaltung.

Die Klosterbibliothek – mehr als nur ein Raum

  • Bücher in der Sakristei und im Chor

Die wertvollen Messbücher, die oft sogar prunkvoll mit Edelmetallen am Einband und aufwendigen Malereien im Innern ausgeschmückt waren, wurden in der Sakristei aufbewahrt, also in dem Raum, wo auch die anderen Objekte, die für die Messe gebraucht wurden, zu finden waren, wie die Messgewänder, die liturgischen Geräte, aber auch die Kerzen. Der nächste Ort, an dem Bücher aufbewahrt wurden, war der Chor, wo u.a. Graduale und Antiphonale – Bücher für den Gesang – bereit lagen.

  • Der Bücherschrank

Die Schulbücher, Philosophentexte, Geschichtsbücher etc. befanden sich in der Regel, je nachdem wie groß der Buchbestand war, in einem Bücherschrank, dem sogenannten armarium, oder in einem richtigen Bibliotheksraum.

Der Bücherschrank konnte an verschiedenen Orten im Kloster aufgestellt sein, etwa im Kreuzgang, an einem beliebigen Platz freistehend oder sogar in eigens dafür gebauten Nischen in der Wand.

  • Der Bibliotheksraum in St. Godehard

Die Praxis, Bücher dort zu platzieren, wo sie benutzt wurden, in Kombination mit in der Regel überschaubaren Bestandszahlen führte dazu, dass für gewöhnlich erst im Spätmittelalter die Aufstellung von Büchern in der Bibliothek nach einer spezifischen Ordnung, einer Systematik, erfolgte. Diese geht auf den frühmittelalterlichen Enzyklopädisten und Bischof Isidor von Sevilla (✝ 636) zurück.

Auch der Wandkatalog der Bibliothek in St. Godehard, der im späten 15. Jahrhundert im Zuge des Bursfelder Zusammenschlusses – einer klösterlichen Reformbestrebung – entstand, folgt dieser Systematik. Er unterscheidet, gegliedert nach den Buchstaben A bis G, zwischen Bibelkommentaren, Kirchenvätern, Scholastik, Kirchengeschichte und Profan- bzw. Ausbildungswerken. Diese Signaturen befinden sich in baulich voneinander abgegrenzten Nischen, die dem Raum strukturieren und ihn als Bibliothek ausweisen. Die Aufstellung der Bücher in den Nischen erfolgte jeweils in Schränken.

Der Raum besitzt des Weiteren einen Zugang zu einem sehr kleinen Nebenraum. Dieser dürfte als Archivraum benutzt worden sein, in dem die wertvollsten Schriftstücke des Klosters wie etwa Urkunden verwahrt worden sein. Eine Reihe von drei Fenstern in der Ostseite bietet einigermaßen Tageslicht zum Arbeiten.

Im Bibliotheksraum wurden die Bücher nicht nur verwahrt, sondern auch gelesen, worauf im Fall der Bibliothek des Klosters St. Godehard die vier Ringe an den mittleren Säulen hindeuten. Hier handelt es sich wahrscheinlich um eine Befestigungsmöglichkeit für Kettenbücher, die sich auf Lesepulten in der Raummitte befanden. In der Regel wurden Bücher nur selten aus einer solchen Bibliothek zum Lesen an einem anderen Ort mitgenommen. Dies schränkte auch den Kreis der Nutzer stark ein: die Mönche des Klosters selbst. Nur selten lassen sich Hinweise auf eine Ausleihe aus Klosterbibliotheken finden. Ausnahmen bilden Ausleihen zwischen Klöstern zum Zweck des Erstellens von Abschriften.

Meister des Codex 167, Ausschnitt, CC0 1.0

Für die Ausstellung "bildung.macht.bischof" wurde der Bibliotheksraum in zweifacher Weise nachgebaut und erfahrbar gemacht:

VR-Rekonstruktion

Nachbau einer Buchnische

 

Die Darstellung des Bibliotheksraums von St. Godehard beinhaltet nicht nur Rekonstruktion der Innenarchitektur, sondern auch die Ausstattung mit zeitgenössischem Bibliotheksmobiliar.

Im Foyer der Dombibliothek wurde eine der insgesamt sieben Buchnischen maßstabsgetreu nachgebaut; ein Bücherschrank sowie Schreibpulte ermöglichen einen unmittelbaren Eindruck der Godehardibibliothek, wie sie im (späten) 15. Jahrhundert eingerichtet wurde.

Eine Auswahl an Originalbänden, die dort aufgestellt waren, ist in der sich anschließenden Ausstellung zu sehen. Sie sind unschwer an den Signaturschildern auf dem vorderen Buchdeckel zu erkennen, weil sie den Buchstaben in den Nischen entsprechen.